Perfektes Gemüse?
Gundelfingen,19.06.22: Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass Läuse am Salat ein hohes Qualitätsmerkmal sein könnten? Oder Löcher im äußeren Chinakohlblatt?
Ich will ja nicht übertreiben – es geht nicht um von Läusen klebrigen Salat oder riesige Löcher in Blättern. Nein- es geht um zum Beispiel ein paar Läuse, die abgewaschen werden können oder ein paar kleine Löcher die nicht weiter stören. Man könnte die Liste an Merkmalen, die dem Gemüse in der Werbung nicht entsprechen, fortsetzen.
Im biologischen Anbau geht es darum die vorhandenen Lebewesen zuzulassen und so zu fördern bzw. nicht zu fördern, dass eine Art Gleichgewicht zwischen Gemüseschädlingen und Gemüsenützlingen entsteht. Das Ziel ist möglichst unbeschadetes Gemüse. Wenn Nahrungsmittel von uns Menschen angebaut werden, wachsen besonders viele leckere Lebensmittel dicht gedrängt auf einer Fläche. Das ist auch für viele Tiere ein reich gedeckter Tisch. So ist es nicht verwunderlich, dass sich einige Tiere bedienen. So entstehen zumindest aus unserer Sicht Schäden – Laus und Erdfloh sehen das sicher anders.
Da stellen sich für mich einige Fragen, zum Beispiel:
Was ist überhaupt ein Schaden? Ist das nicht immer eine Frage der Perspektive?
Was tolerieren wir als Nahrung für uns und was nicht?
Und ab wann ist etwas gesundheitsschädlich?
Am Klosterhof wählen wir die Produkte die wir ernten und verkaufen sorgfältig aus. Unser Gemüse ist von hoher Qualität. Als Bioland-Betrieb haben wir jedoch auch das Größere Ganze im Blick. An manchen Punkten möchten wir Sie daher bitten, die Bilder in Ihren Köpfen zu verändern.
Manchmal möchten wir sagen: Freuen Sie sich über die Löcher! Denn diese bezeugen, dass auf unseren Äckern keine Pestizide ausgebracht werden und zum Beispiel gerade einige Erdflöhe im Chinakohl eine Party gefeiert haben. Dem Kohl schadet das in seiner Qualität als Lebensmittel in keiner Weise. Oder freuen sie sich einmal über die Blattläuse, denn auch wenn sie im Frühjahr auf dem Acker in der Überzahl sind machen sich bereits hungrige Schlupfwespen, Marienkäfer oder Florfliegenlarven auf den Weg und es wird sich bald ein neues Gleichgewicht einstellen. Wir müssen uns also nur etwas gedulden, uns ein-/zweimal im Jahr über ein paar Blattläuse freuen und der Salat ist meist ohne unser Zutun den restlichen Sommer läusefrei.
Natürlich ist ein so Acker schon an sich ein Eingriff in das vorherige Ökosystem. Wir versuchen aber uns im Bioanbau die Mechanismen eines funktionierenden Ökosystems so gut wie möglich zu Nutzen zu machen. Es sollen sich natürliche Gleichgewichte ausbilden, gesteuert durch das große Nahrungsnetz und den Kreislauf von "Fressen und Gefressen werden". Da so ein natürliches System keine Maschine ist kommt es immer wieder mal vor, dass auch für unser Gemüse schädliche Organismen die Überhand gewinnen.
Aber genau diese „Natur“ in unseren Produkten wollen wir doch! Wir wollen doch „Bio“ ohne Pestizide, die diese Systeme noch stärker durcheinander bringen würden. Wir wollen doch unsere Umwelt schonen. Und wir wollen weniger Lebensmittel wegwerfen. Wollen wir trotz dieser Wünsche weiterhin das makellose Gemüse von den Werbeplakaten? Da passt etwas nicht ganz zusammen.
Ich glaube es ist an der Zeit unser Bild vom guten Gemüse zu ändern. Daran zu denken, dass es nicht nur um das Endprodukt geht, welches wir am Marktstand erwerben. Denn wir kaufen mit diesem Salat auch die Sorge um unseren Ackerboden, die Vielfalt der Lebewesen, den Kreislauf der Natur und - damit verbunden - vieler Hände Arbeit. Wenn wir die Bilder ändern, in Zukunft nicht nur das vordergründige Äußere, sondern auch das Innere sehen und uns daran erinnern, dass auch wir Teil dieses riesigen Netzes aus "Fressen und Gefressen werden" und "Werden und Vergehen" sind, dann werden wir am Ende einfach dankbar sein für die Nahrung auf unserem Tisch. Dankbar über die zahlreichen Lebewesen mit deren Hilfe unser Gemüse zu einem so einzigartigen und guten Produkt geworden ist. Wäre das nicht eine passende Definition für "perfektes Gemüse"?